Wir leben in einer Expertengesellschaft. Psychologen, Soziologen, Quantenphysiker oder Verhaltensforscher bevölkern Talkshows, oder tauchen als Experten in Filmberichten auf. Heute herrscht
Nischenzwang. Universalgelehrte mit vielseitigen Kenntnissen in den verschiedensten Gebieten der Wissenschaften, sind nicht mehr gefragt.
Heute geht es eher darum, in bestimmten Nischen noch mehr Wissen anzuhäufen als die Konkurrenz. Wer jemals Gast einer Konferenz in einem Großkonzern war, der weiß, wie manche Manager
Spezialwissen als Waffe einsetzen, Detailunwissen bei Rivalen identifizieren und im Kreis genussvoll desavouieren. Wenig anders im Hochschulbetrieb. Fachpublikationen werden seziert, der Autor
beim kleinsten Fehler unmöglich gemacht.
Unvorstellbar ist in diesem Zusammenhang der doctus imprudens, der ahnungslose Gelehrte. Meiner Kenntnis nach ist dieses Paradoxon in der Welt des Films außerhalb des Komödienfachs nur in der
ersten Staffel der TV-Serie „Mondbasis Alpha 1“ zu besichtigen. Denn dort gibt es mit dem Chefwissenschaftler Victor Bergman (gespielt von Barry Morse) einen Mann, der nichts weiß.
Mich beeindruckte damals tief, dass Prof. Bergman in der zweiten Staffel der Serie nicht nur nicht mehr auftrat, sondern dass auf sein Verschwinden mit keinem Wort eingegangen wurde. Diese Damnatio memoriae war für aufmerksame Zuschauer eine Lektion. Wenn du schon nichts weißt, dann lass dir wenigstens nichts anmerken. Tust du es doch, verschwindest du, und niemand redet mehr von dir.
Vor langer Zeit sandte ich Gerry Anderson, Erfinder der Fernsehserie „Mondbasis Alpha 1“, eine Mail mit der brennenden Frage: Wieso tritt dort ein Wissenschaftler auf, der nichts weiß? Die
Antwort kam nie. Wahrscheinlich wußte Anderson es nicht. Oder er nahm das Geheimnis mit ins Grab.
Text: Gudio Walter