Text und Fotos: Guido Walter
Auf meine Anfrage teilte mir Julia Kramm, Fachbereich III – Planung & Gebäudemanagement der Gemeinde Drochtersen mit, dass die im Ortsteil Assel gelegene Molkerei „Schmecke-Fuchs“ nicht mehr in Betrieb sei und leer stehe. Der Eigentümer, Egon Meinshausen, sei im Jahre 1998 nach Stade verzogen. Ob er dort zurzeit noch wohnhaft ist, sei der Gemeinde nicht bekannt.
Drochtersen ist eine niedersächsische Gemeinde mit rund 12.000 Einwohnern. Sie liegt rund 45 km südwestlich von Hamburg an der Elbe. Regionale Spezialitäten sind die „Kehdinger Hochzeitssuppe“
und „Kehdinger Klüten“ (Mehlklöße). Bis Ende der 90er Jahre zählten auch die Milchprodukte von Schmecke-Fuchs dazu.
Es muss 1996 gewesen sein, als ich die Molkerei besuchte. Der Hintergrund war folgender. Mit aufwendigen Promotion-Kampagne warben damals Hamburger Underground-Künstler monatelang für Produkte
der 23 Mitarbeiter zählenden Mini-Molkerei, was deren Geschäftsführung Rätsel aufgab.
Als ich damals Egon Meinshausen traf, fielen mir sofort die gigantischen Lochkarten-Lesegeräte in seinem Büro auf. Keine Frage, hier hatte sich seit den 60er
Jahren kaum etwas geändert. Meinshausen, damals 67, pflegte in den Räumen der Molkerei zu übernachten. Wenn die Eiswasserpumpe pünktlich nachts um Fünf geräuschvoll nachkühlte, wachte er kurz auf
und schlief dann beruhigt weiter: „Nur wenn nichts zu hören ist, stimmt was nicht“, sagte mir der Chef von Schmecke-Fuchs.
Doch um die Ruhe war es plötzlich geschehen. In Hamburg, so berichtete ein Fahrer seinem Chef, tauchten immer mehr „Schmecke-Fuchs“ T-Shirts, Fußballtrikots, Autoaufkleber und Graffitis auf.
Meinshausen hatte nichts von der Kampagne gewusst, geschweige denn dafür bezahlt.
Der Absatz von Trinkmilch, Sahne und Butter lief auch ohne Werbung: Seit den 60er Jahren belieferte Schmecke-Fuchs Hamburger Krankenhäuser und Kantinen. Im Einzelhandel gehörte die Landmilch zu
den Raritäten, nur wenige Geschäfte führen Schmecke-Fuchs.
In einem Tante Emma-Laden am Hamburger Schulterblatt begann damals die Geschichte. Im Kühlregal dort erspähte im April 1993 der Hamburger Filmemacher Hendrik Peschel („Rollo Aller“) den blauen
Tetra-Pack mit dem Fuchs-Logo: „Dieses sympathisch zurückgebliebene Design schien mir so gar nicht in die moderne Warenwelt hineinzupassen“, schwärmte der Kunstschaffende.
Fortan irritierte Peschel die Hamburger Szene mit einer rastlosen „Schmecke-Fuchs“-Promotionkampagne. So befragte er im Sommer 1994 per Megaphon Spaziergänger am Hamburger Elbstrand zu
ihrer Meinung nach „Schmecke-Fuchs“. Wenige Tage später schenkten auf der Berliner „Love Parade“ Männer mit Fuchsmasken den weißen Proteinsaft als neuen „Energy-Drink“ aus. Regelmäßig baute
Peschel in Hamburger und Lübecker Fußgängerpassagen Promotionsstände auf und animierte zum Kauf von Schmecke-Fuchs-Produkten.
Auch die Kunst-Szene war wie vom Fuchs gebissen: Unterstützt von Malern wie Ernst Kahl und „4000“ präsentierte Peschel in der „Galerie 13“ Interpretationen des „Schmecke-Fuchs“-Logos. In
Hamburger Szenekneipen wie „Karmers Tanzcafé“ oder „Saal 2“ verteilen „Fox Force“-Aktivisten Proben der „im Holzfaß handgetrommelten“ Schmecke-Fuchs-Butter. Auf den Milch-Partys der
Underground-Macher herrschte bei Frei-Milch und leckeren Shakes ausgelassene Stimmung, welche die „Schmecke-Füchse“ mit eigens komponiertem Liedgut anheizten: „Für Schmecke-Fuchs lauf ich mir
dicke Waden – auf dem Weg zum Feinkostladen“ oder „Halli Hallo, hier kommt der Schmecke-Fuchs.“.
„Imitation einer Werbekampagne“, nannte Peschel seinen Promo-Feldzug, den er im Namen der Landmolkerei zu führen glaubte: „Die kleinen Molkereien haben doch gegen die Megaproduzenten keine Chancen mehr.“
Peschels Enthusiasmus für die Kult-Milch aus Drochtersen basierte, wohl unwissentlich, auf einer Haltung, die Douglas Coupland in seinem Kult-Roman „Generation X“ als „Underdogging“ bezeichnet. Dem zufolge bevorzugten die Konsumenten in den 90er Jahren weniger erfolgreiche, „traurige“ oder mißlungene Produkte: „Ich weiß, diese Wiener Würstchen sind eine totale Mißgeburt“- so bei Coupland- „Aber sie sahen so traurig aus neben all den Yuppie-Markenartikeln, daß ich sie einfach kaufen mußte.“ Ebenso erging es Peschel, als er die Milchpackung mit dem kleinen roten Fuchs fast versteckt neben den Produkten der Großmolkereien entdeckte.
Der Marken-Kult um „Schmecke-Fuchs“ war in den 90er Jahren kein Einzelfall. Anders als in den Achtzigern, in denen sich Jugendliche stark über imageträchtige
Markenartikel definierten, wurde das Verhalten der 90er-Jahre-Twens von der Sehnsucht nach Werbe-Reminiszensen wie dem HB-Männchen, Clementine und dem Bärenmarke-Bär bestimmt. Die damals
18-29jährigen, aufgewachsen im Werbepausen-Coverkill der privaten Fernsehstationen, durchschauten die Marketing-Mechanismen mit großer Selbstverständlichkeit und kreierten sich eigene
Marken-Ikonen: T-Shirts mit Werbeverfremdungen, die aus „Jägermeister“ „Ravermeister“ oder aus „Dash“ „Hash“ machen, gehörten damals zu jeder Technoparty.
Es war der Beginn des „Anzeigenknacken“, den Justiziare zuweilen mit rechtlichen Mitteln bekämpften. Den selbsternannten „Schmecke-Fuchs“-Werbechef musste diese Aussicht nicht schrecken: Indem
Peschel seine Kampagne zum Kunst-Event hochjazzte, umschiffte er geschickt das Warenzeichen- und Gebrauchsmustergesetz.
Wer sich auf der Ebene der Kunst bewegt, hat alle Freiheiten. Problematisch wäre es nur gewesen, wenn Peschel T-Shirts mit Schmecke-Fuchs-Logo verkauft hätte. Das ist im Einzelfall wohl auch passiert, aber es sprach sich nicht bis nach Drochtersen herum. Schmecke-Fuchs-Chef Meinshausen hat damals selbst T-Shirts drucken lassen. Mit den Worten „Die halten wir ganz rar“, überreichte er mir eins. Ich erinnere mich noch an die Betriebsführung, bei der sich Meinshausen als echter Wohltäter entpuppte. Die Angestellten besaßen einen eigenen Swimming Pool. In meiner Vorstellung war er stets mit Milch gefüllt.
Fest und Flauschig Highlight, 15.12.2022