Von Helge Stroemer (Text und Fotos), kunstStory, 1.6.2022
Ebbe und Flut, Wasser und Watt – das gehört zu Wilhelmshaven an der Nordseeküste. Wobei der Begriff "Watt" aufgrund des täglichen Naturereignisses – der Tide – eine besondere Bedeutung zukommt.
Schließlich liegt das Weltnaturerbe Wattenmeer vor der Haustür. Als Watt bezeichnet man die Flächen in der Gezeitenzone, die bei Niedrigwasser trocken fallen. 2009 wurde das
deutsch-niederländische Wattenmeer in die UNESCO-Welterbe-Liste aufgenommen.
Und so heißt der Titel der Ausstellung der Künstlerin Ilona Kümmel-Holtrup (52) "Watt ’ne KümmelArt" – auch in Anlehnung an das jährlich stattfindende "Watt En Schlick"-Open-Air in Dangast, einem
kleinen Ort ganz in der Nähe der Hafenstadt.
Die Wilhelmshavener Künstlerin wählte als Sujet die vielen Facetten dieses Lebensraums. Entstanden sind 23 Werke (Acrylbilder auf Leinwand): von Tieren, die hier an der Küste heimisch sind, seien
es Möwen, Seehunde oder Schweinswale. Und sie malt Bilder von den Menschen, die sich am Strand sonnen, mit einem Katamaran segeln oder mit Kindern spielen. Ein Bild von ihr heißt:
"Wattvergnügen". Sie will den Moment des Erlebens festhalten. Dabei setzt sie bei der Umsetzung auf Licht, Farbe, Perspektive – und das eigene Empfinden.
Kombiniert wird die Ausstellung mit lyrischen Texten der ehemaligen Wilhelmshavenerin Veronika Litschel (52), die inzwischen weit weg von der Nordseeküste in Wien lebt und dort als Autorin und Sozialwissenschaftlerin arbeitet. Entstanden ist ein Dialog zwischen Malerei und lyrischen Texten.
Foto: Veronika Litschel
Prolog
Ich bräuchte einen Himmel zum Hinschauen
einen, der sich bewegt
der die Gedanken mitnimmt und
das aufgewühlte Innere weiter wiegt
um es irgendwann fortzutragen
Nicht langsam, schnell.
Keine Schönwetterbrisen
sondern Lichtspiele, Wolkenschaufeln
Drehungen, stetige Aufwühlung.
Gerade noch mittendrin.
Dort, wo wir zwischen kleinen gefüllten Kuhlen und verschlungenen Haufen Wattbewohner
immer leicht versinkend stapfen,
wo uns Muschelreste Reisegeschichten schenken,
die Krebse an den Füßen kitzeln,
bahnt sich das Meer seinen Weg zurück.
Kleine Wasserläufe mit unzähligen Nebenarmen, erste Wellen
links, rechts, vorne, hinten,
ziehen dichte Luftmassen vor die Sonne
brechen das Licht.
Neue Schattierungen in Rot.
Mein Himmel
Neben den einzelnen wilden Formationen und
den in breiten Strichen herunter zeigenden Sonnenstrahlen,
regnet es.
Ein wenig entfernt, ich werde nicht nass.
In meinem Rücken der Wind, die Flut
treibt die Schaumkronen gegen die Kaimauer.
Im schnellen Wechsel fährt mir der Himmel davon
kommt neuer nach. Unentwegt.
Ich schaue der tiefdunklen Wolke hinterher
wie sie sich auf den Weg macht.
Wie weit sie wohl kommt, ehe sie zu schwer wird?
Tausende Male bin ich hier gegangen und
noch tausende Male werde ich es tun,
ohne satt zu werden.
Abend
Die Sonne beginnt sich zu verabschieden,
nicht ohne ihre schönste Seite zu zeigen.
So, als wolle sie ein mögliches Vergessen verhindern,
So, dass wir ihr die Nacht lang nachträumen können,
obwohl wir wissen
sie kommt wieder.
Im selten stillen Wasser spiegelt sich der Deich
doppelt der Ort
an dem ich dir lächelnd gedenke.
Der letzte Gruß des Tages nimmt es mit sich,
bevor ein neues Licht die abermals gefüllte Bucht erreicht
die Welle sich wieder bewegt.
Ich nehme mein Glas, proste dir zu
über die ungewisse Entfernung
hin zu einem anderen Ufer oder Pier.
Verbindung.
(Veronika Litschel)
Die Wilhelmshavener Künstlerin Ilona Kümmel-Holtrup zeigt (gemeinsam mit der Autorin Veronika Litschel) bis zum 3. Juli 2022 ihre maritimen Arbeiten in einer Einzelausstellung in der neuen
Sonderausstellungsfläche im Wattenmeer Besucherzentrum Wilhelmshaven.
UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer Besucherzentrum
Inzwischen ist der Ort in Norddeutschland auch durch das Open-Air-Festival "Watt En Schlick" (mit Musik, Literatur, Kunst und Film) bekannt. Zudem weist Dangast eine eindrucksvolle
Kunstgeschichte auf.
Expressionisten wie Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Max Pechstein von der Künstlergruppe "Brücke" entdeckten den Fischerort für sich. Und Joseph Beuys startete hier Anfang der 70er Jahre
Kunstaktionen. Hier geht es zu einem Beitrag auf der kunstStory-Seite zum kunstOrt und Künstlerort Dangast: Kunst in Dangast.