Gretchen Andrew: Wie Algorithmen die Realität formen

Gretchen Andrew nutzt Suchmaschinenoptimierung, um ihre Kunstwerke in den digitalen Vordergrund zu rücken und hinterfragt spielerisch die Mechanismen des Internets. Sie schafft so eine Präsenz, die sie als Teil ihrer Kunst versteht.

Von Guido Walter, kunstStory, 24.9.2024

Gretchen Andrew nutzt Suchmaschinenoptimierung, um ihre Kunstwerke in den digitalen Vordergrund zu rücken

Gretchen Andrew, eine Künstlerin und ehemalige Google-Mitarbeiterin, hat einen einzigartigen Weg gefunden, die Strukturen der digitalen Welt für ihre Kunst zu nutzen. Ihr Projekt, das sie als "Search Engine Artist" bezeichnet, nutzt die Macht der Suchmaschinenoptimierung (SEO), um ihre Kunstwerke in den Vordergrund von Suchergebnissen zu rücken und dabei die Mechanismen des Internets spielerisch zu hinterfragen.

Sie inszeniert sich als Gewinnerin des Turner Prize oder platziert ihre Collagen an der Spitze der Google-Ergebnisse für Suchanfragen wie "next American president". Dabei manipuliert sie gezielt Algorithmen, um eine Präsenz zu schaffen, die sie als Teil ihrer Kunst begreift.

Ihre Vorgehensweise ist dabei weniger eine Kritik an den Institutionen der Kunstwelt als eine ironische Auseinandersetzung mit der Macht der Algorithmen. Andrew verbindet die Logik des digitalen Zeitalters mit einer feministischen Botschaft, indem sie ihre Arbeiten in einen Kontext stellt, der traditionelle, männlich dominierte Konzepte von Macht und Erfolg auf den Kopf stellt.

Ihre Collagen, die oft in Rosa und mit Glitzer gestaltet sind, wirken bewusst überzogen und verspielt, während sie gleichzeitig einen subversiven Kommentar zur Technologie und den Stereotypen liefert, die diese repräsentieren. Sie möchte zeigen, dass es möglich ist, die Strukturen des Internets zu nutzen, um Kontrolle über die eigene Darstellung und Wahrnehmung zu gewinnen.

Eine faszinierende Auseinandersetzung mit der Dissonanz zwischen digitaler Perfektion und realer Identität

Gretchen Andrew und ihr Projekt Facetune Portraits

Ihr aktuelles Projekt, „Facetune Portraits“, greift ein ähnliches Konzept auf, fokussiert sich jedoch auf die Auseinandersetzung mit KI-gestützter Körpermodifikation und traditionellen Porträts. Andrew nutzt speziell angefertigte Roboter, um die digitalen Schönheitsfilter, die von Social-Media-Plattformen verwendet werden, physisch auf nasse Ölgemälde zu übertragen.

Die Gemälde zeigen Porträts von Berliner Influencern, die von der Künstlerin fotografiert und interviewt wurden. Mit dieser Arbeit, die in Zusammenarbeit mit HOLON und fx(hash) präsentiert wird, hinterfragt Andrew die Diskrepanz zwischen dem natürlichen Selbst und dem idealisierten, algorithmisch konstruierten Bild, das viele Menschen online anstreben.

Die Installation, die ursprünglich in London gezeigt wurde, wird im Rahmen der Berlin Art Week (BAW) nach Berlin gebracht und lädt die Besucher zu einer faszinierenden Auseinandersetzung mit der Dissonanz zwischen digitaler Perfektion und realer Identität ein.

Die Grenzen und Schwächen der Algorithmen aufzeigen, die das Internet regieren

Gretchen Andrew, die Grenzen und Schwächen der Algorithmen aufzeigen, die das Internet regieren

Obwohl Andrews Projekte wie institutionelle Kritik wirken könnten, ist ihre Absicht weniger darauf gerichtet, die Kunstwelt zu untergraben, als vielmehr die Grenzen und Schwächen der Algorithmen aufzuzeigen, die das Internet regieren. Sie vergleicht ihre Arbeit mit surrealistischen Konzepten und verweist auf das berühmte Gemälde von René Magritte, „Der Verrat der Bilder“, das eine Pfeife zeigt, mit der Inschrift „Dies ist keine Pfeife“. In ihrer Version dieser Idee verweist sie auf die Macht von Google, zu bestimmen, was eine Pfeife oder andere Konzepte im digitalen Raum darstellen.

Andrews Kunst stellt die Frage, wie Algorithmen die Realität formen. In einer Welt, in der Datenströme und Algorithmen den Zugang zu Informationen kontrollieren, weist sie auf die inhärente Subjektivität dieser Systeme hin. Ihre Werke, die oft wie Vision Boards gestaltet sind, nutzen gezielt diesen Kontrollmechanismus, um das Publikum zu irritieren und gleichzeitig zu unterhalten.

Dabei kritisiert sie auch die Art und Weise, wie Algorithmen in ihrer binären Logik zur gesellschaftlichen Spaltung beitragen. Andrew selbst sieht jedoch in dieser Spaltung auch eine kreative Möglichkeit zur Selbstermächtigung.

Die Funktionsweise von Algorithmen und deren Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung hinterfragen

Gretchen Andrew, durch ihre Arbeiten wirft sie Fragen auf

Die Künstlerin, die in Los Angeles lebt und ursprünglich Wirtschaftsinformatik studiert hat, verließ Google nach zwei Jahren, um sich voll und ganz der Kunst zu widmen. Ihr Interesse an Systemen und Regeln blieb jedoch bestehen, und heute nutzt sie dieses Wissen, um die Regeln der digitalen Welt zu ihren Gunsten zu biegen.
Durch ihre Arbeiten wirft sie Fragen auf wie: Warum werden Frauen in Machtpositionen in den Suchmaschinen oft übersehen? Und wie kann man sich die Kontrolle über die eigene Darstellung im digitalen Raum zurückerobern?

Andrews Arbeiten sind auch ein Kommentar zu den Machtstrukturen des Internets selbst. Sie nutzt gezielt Bilder, die Stereotype bedienen, um deren Präsenz in den Suchmaschinen zu verstärken. In einem männlich dominierten digitalen Raum erscheinen ihre feminin gestalteten Collagen als bewusster Kontrast.

Indem sie Aufmerksamkeit durch Irritation erregt, bringt sie den Betrachter dazu, die Funktionsweise von Algorithmen und deren Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung zu hinterfragen. Ihr Erfolg zeigt, dass sie diese Strategien beherrscht: Ausstellungen ihrer Werke fanden in Fotomuseen und Galerien in London, Berlin und der Schweiz statt, weitere Projekte sind in Österreich geplant.

Ihre Arbeiten sind ein spielerischer, aber gleichzeitig tiefgründiger Kommentar zur Rolle des Internets

Gretchen Andrew, ihre Arbeiten sind ein spielerischer, aber gleichzeitig tiefgründiger Kommentar zur Rolle des Internets

Dabei bleibt ihr Ansatz stets spielerisch und kreativ, ohne die ernsten Themen aus den Augen zu verlieren. Andrew sieht ihre Kunst als ein Mittel, um die Regeln der digitalen Welt zu durchbrechen und ihre Träume in diese zu programmieren. Sie lädt das Publikum ein, sich ebenfalls dieser Werkzeuge zu bedienen und die Mechanismen des Internets zu hinterfragen.

Insgesamt zeigt Andrews Werk, dass Algorithmen nicht nur Instrumente der Kontrolle und Macht sind, sondern auch kreativ genutzt werden können, um neue Formen der Selbstermächtigung zu erschließen. Ihre Arbeiten sind ein spielerischer, aber gleichzeitig tiefgründiger Kommentar zur Rolle des Internets in unserem Leben und der Art und Weise, wie wir durch digitale Strukturen geprägt werden.


Gretchen Andrew, Künstlerin aus Los Angeles, Installation, Rahmen der Berlin Art Week präsentiert
Gretchen Andrew, Zusammenarbeit mit HOLON und fx(hash)