Dennis Rudolph - Virtual Reality

Das Digitale materialisieren. Und damit unter Kontrolle bringen.

Dennis Rudolph lotet die Schnittstellen zwischen realer und virtueller Welt künstlerisch aus.

Alt, älter, Oude Kerk. Sie ist das älteste erhaltene Bauwerk in Amsterdam. Bevor der steinerne Saalbau ab 1250 errichtet wurde, stand hier eine Kirche aus Holz. Die Kirche wurde nicht freigelegt, wie das sonst in Europa üblich ist. Bürgerhäuser drängen sich noch heute an die Fassade der Oude Kerk. Wenn nicht gerade ein Gottesdienst oder eine Pandemie stattfindet, ist die Oude Kerk ein Kunstraum. Auch für zeitgenössische Kunst.

Derzeit hängt eine gedruckte 5-Meter-Reproduktion von Dennis Rudolphs Die 5-Minuten-Apokalypse an der Außenseite des Kirchturms. Das Gemälde ist Teil einer größeren Inszenierung. Rudolph hat dazu eine App entworfen, die das im Lockdown befindliche Gebäude mit Hilfe der Augmented Reality aufschließt.

Wer möchte, kann damit sein Gemälde an dem Turm via Smartphone oder Tablet zum Leben erwecken. Dazu erklingen Fanfaren und Posaunen vom Kirchturm. Maria erscheint als Koloss im Sternenkranz der Flagge Europas und fällt in Zeitlupe zu Boden. Ein Clash von Religion und Politik. Der aber Tradition und Innovation vereint.

Dennis Rudolph lebt und arbeitet als Konzeptkünstler in Berlin. Das ist ein schöner Kunsthistoriker-Satz und hier kommt gleich noch einer: Rudolphs Sujet ist die Verbindung von klassischer Malerei mit neuen Medien wie Virtual- und Augmented Reality.

Dass die Digitalisierung eine gewisse Bilderlosigkeit hervorbringt, ist Rudolph schmerzhaft bewusst. „Mir ist es total wichtig, dass etwas an der Wand hängt, wenn ich ins Atelier gehe. Wäre da nichts, weil ich nur digitale Sachen hätte, würde ich verrückt werden.“ Seine Arbeiten müssen anwesend sein. Haptisch sein. Er muss damit arbeiten können. „Ich kann zwar mit einem Malprogrammen in der Virtual Reality auch meinen Gestus übertragen“, sagt Rudolph. „Aber es bleibt halt unsichtbar.“ Also muss es entstehen. Als Versuch, das Digitale unter Kontrolle zu bringen. Indem er es materialisiert. In Öl auf Leinwand oder in Bronze. Oder als 3D-Modell gedruckt.

 

Die Digitalisierung deutete sich bereits vor der Corona-Krise an und hat durch sie einen extremen Schub bekommen. „Deswegen ist es für mich total wichtig, dass ich mich als Künstler mit der Technik auseinandersetze“, sagt Rudolph, der an der Universität der Künste in Berlin, der Repin-Akademie in St. Petersburg und dem Sprach- und Kulturinstitut in Peking studierte.

Das Museum der Arbeit Hamburg, das KW-Institut für zeitgenössische Kunst in Berlin sowie die Biennale für junge Kunst in Moskau zeigten seine Arbeiten, die meist die Schnittstellen zwischen realer und virtueller Welt ausloten. Vorhanden und gleichzeitig nicht vorhanden sind. Rudolph kann dreidimensional malen. Bewegung und Spezialeffekte schaffen. Die dann, Achtung, schlimmes Marketingwort, auf seine Ölgemälde einzahlen. 
Erfrischend, würde ein Kunstkritiker sagen.

Rudolphs Wurzeln liegen in der klassischen Malerei und traditionellen künstlerischen Medien wie Ölgemälde, Tuschezeichnung und Kupferstich. Mit seiner Deutschen Ahnengalerie (2006-2008), einer auf Fotografien namenloser Soldaten des Zweiten Weltkriegs beruhenden Porträtserie, thematisierte Rudolph die Verflechtung von Kunst und Kult im Nationalsozialismus.

Das politische Umfeld ist mehr denn je Teil seiner Kunst. „Die Corona-Zeit hat einen politischen Aspekt in meine Arbeit gebracht“, sagt Rudolph. „Sachen, die sich vor der Krise angedeutet hatten, traten wie in einem Relief verstärkt hervor. Die Auflösung der EU. Oder das Wiedereinführen der Grenzkontrolle.“

Das nicht mehr rausgehen können hat Rudolphs Wahrnehmung in Richtung der Bilder verschoben, die auf Bildschirmen auftauchten. Auf dem Smartphone, Desktop oder Fernseher. „Auf eine Art hat sich so die Krise in mein Werk irgendwie eingeschlichen und ist Teil meiner Installationen geworden.“

Krisen haben es an sich, dass sie die besten, aber auch die schlechtesten Eigenschaften bei den Menschen hervorbringen. Der Schöpfergeist, der neue Impfstoffe in Rekordzeit hervorbringt, wird konterkariert durch den Impf-Drängler, der sich nicht um Gesetze schert. Rudolph sieht die Dinge und lässt sie zu Material für seine Kunst werden. „Schreckliche Dinge sind auch immer irgendwie was Kraftvolles für die Kunst.“ Wie etwa in China zur Zeit der Kulturrevolution, in der sozialistischer Kitsch und schöne Blumenstillleben entstanden.
Rudolph wertet nicht. Er verwertet. Das hat, im besten Sinne, etwas Journalistisches.

kunstStory, 12.3.2021
Text: Guido Walter

Video: Helge Stroemer

Mit Fotos und Media von: STATE OF THE ART und Upstream Gallery Amsterdam