Barrikaden der Popkultur

Marc Bijls Ausstellung thematisiert den Kulturbruch des Pop ab 1984

Marc Bijl, Digital Nights, Bark Berlin Gallery, kunstStory.de
Marc Bijl, Ausstellung „Digital Nights“ in der Bark Berlin Gallery (30.01.2021 - 11.02.2021)

In den 80er Jahren trugen Discotheken Namen wie „Manhattan“, „Touch“, „Empire“ oder „Amadeus“. Es waren in Purpurlicht illuminierte Dark Rooms. Lasershows verbreiteten futuristischen Stress. DJs waren noch keine coolen Clowns. Sondern Dienstleister, die Ansagen machten. Ansagen wie: „Als nächsten tauchen wir dann ein in die Rivers of Babylon." Auf der Tanzfläche waren Popper im Polohemd oder Grufties in Lederkluft zu sehen, die so tanzten wie Eichhörnchen, die Nüsse aufsammeln. 

Diese Atmosphäre verströmt auch der Showroom von Marc Bijl, den er für seine Ausstellung „Digital Nights“ in der Bark Berlin Gallery aufgebaut hat.
Der Titel stammt von einem Bandprojekt des Künstlers. Die Anspielung auf Orwells 1984 ist eher humorvoll konnotiert, denn von den düsteren Projektion des Briten war 100 Jahre zumindest im Westen Europas nichts zu spüren. Das bisschen Kalter Krieg hat nicht wirklich geschadet. 1984 war eines der besten Jahre überhaupt. Die Popwelt erreichte eine Blüte, die danach nicht mehr übertroffen wurde. „Das gilt vor allem für England, denn nach 1984 versetzten Stock Aitken Waterman dem Pop einen schweren Schlag“, sagt Marc Bijl im Gespräch mit der internationalen Presse während der Vernissage von „Digital Nights“.

Marc Bijl, Digital Nights, Bark Berlin Gallery, kunstStory.de

Das britische Musikproduzententeam Stock Aitken Waterman erreichte in den 80er Jahren 13mal den ersten Platz der britischen Charts. "You Think You’re a Man" von Divine und "You Spin Me Round" von Dead Or Alive von 1984 waren noch okay. 1986 folgten dann das nervige Cover "Venus" von Bananarama sowie 1987 Rick Astley mit "Never Gonna Give You Up". Die Simple Minds hatten diesen Kulturverfall mit "New Gold Dream" antizipiert. Nicht umsonst heißt der komplette Albumtitel New Gold Dream (81-82-83-84). Falls jemand diese These anzweifelt, sollte er sich zur Strafe die Bros-Debütsingle "I Owe You Nothing" von 1987 anhören.

 

Marc Bijl hat das ebenso gut verstanden wie die Simple Minds. In typischer Eighties-Typo hat er Songtitel der Jahre 81, 82, 83, und 84 an die Wand gehängt. Bijl war damals 14 Jahre alt. Man kann also davon ausgehen, dass sich diese Hits in sein junges Gehirn gebrannt haben. Allen voran "Church Of The Poisoned Mind" von Culture Club. In einem Interview sagte Bob Dylan, dass er nur einer Kirche folge. Der Church Of The Poison Mind. Ob Culture-Club-Sänger Boy George das wusste, ist nicht bekannt. Der irre Einsatz von Hammondorgel und der Mundharmonika offenbart aber die typische 81-82-83-84-Kreativität.

 

Marc Bijl, Digital Nights, Bark Berlin Gallery, kunstStory.de

Als nächstes Bild dann "Love Is A Battlefield". Auch von 1983. Auch mit fetter Keyboardsoße, Sprechstelle, sirenenartigem Gesang und treibenden Rhythmus. Der Song ist nicht weniger als eine Ikone der 80er Jahre. Echte Expertise verrät Bijl mit "Far From Over". Der weniger bekannte Song stammt von Frank Stallone, dem jüngeren Bruder des Schauspielers Sylvester Stallone. Der führte beim Tanzfilm Staying Alive mit John Travolta Regie.

 

Die Einschätzung, dass Marc Bijls Installationen wie eine Fantasie einer Zeit ohne Probleme wirkt, ist zutreffend. Bei Bijl kommt aber immer eine zweite Ebene hinzu, wie der bewaffnete, den Raum beherrschende Michael Jackson-Engel gemahnt.

Marc Bijl extrahiert einfache Warnsignale aus komplexen sozialen Phänomenen und konfrontiert weltweite Probleme mit den Barrikaden der Popkultur. Kultur ist Aggression und romantische Idee zugleich. Gegenkultur ist immer aufregender als der Mainstream. In einer älteren Werk verbrannte der Künstler ein Friedenszeichen, das zugleich auf Arte Povera und Jannis Kounellis hinwies.
In diesem Sinne repräsentiert der Künstler keine Gegenkulturideologien als solche, sondern eher ist eher ein an humanistischen Ideologien orientierter Freidenker. 
Text und Fotos: Guido Walter, kunstStory, 2021