Der russisch-deutsche Künstler Alexander Skorobogatov gestaltet Pflanzenskulpturen aus Metall und Silikon - seine Ideen bezieht er aus der Mythenwelt der
Antike.
Text und Fotos von Guido Walter, 22.9.2021
Wer sich Bilder oder Skulpturen von griechischen und römischen Gottheiten genauer ansieht, wird darin immer wieder Pflanzen entdecken. Diese hatten in der Mythenwelt der Antike ihren festen
Platz. So waren der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin Demeter Getreide, Mohn, Feigenbaum geweiht, Zeus-Tochter Persephone der Mohn und Göttermutter Hera der Granatapfel.
Zu Athene, der Göttin der Weisheit gehörte der Olivenbaum wie zur Liebesgöttin Aphrodite Rose, Apfel, und Myrte. Römer wie Griechen nutzten mythologische Figuren und spannen Geschichten um sie
herum. Wem konnte man die Schönheit der Blumen und Pflanzen und das Absterben und Wiederaufleben der Natur im Wechsel der Jahreszeiten besser zuschreiben als den Göttern?
Die Pflanzenwelt ist in der griechischen Mythologie tief verwurzelt - für Alexander Skorobogatov sind sie die wichtigste Quelle der Inspiration. „Meine Arbeit war immer mit der Mythologie
verbunden, hauptsächlich mit der griechischen.“ Als Beispiel nennt er die Geschichte um Artemis und Aktaion.
Der Jäger Aktaion war mit seinen Hunden im Wald, als er weibliche Stimmen hörte. Er folgte ihnen bis zu einem Busch, nahm die Blätter beiseite und sah die Göttin Artemis mit ihren Nymphen baden.
„Ich liebe die Idee dieses Moments, kurz bevor Aktaion die Blätter beiseite nimmt. Dieser Moment ist unwahrscheinlich spannend, sexy und intensiv.“
Im Mythos endet die Geschichte für Aktaion tragisch: Artemis entdeckt ihn, verwandelt ihn in einen Hirsch, der dann von seinen eigenen Hunden zu Tode gejagt wird. Die Idee, was gewesen wäre, wenn
Aktaion nicht seiner Neugier nachgegeben hätte, beschäftigt Skorobogatov. „Das Wunderbarste, was er je hätte sehen können, hätte nur in seiner Vorstellung existiert“, sagt der Künstler, der seine
eigene Mythologie mit „The Silent Moment of Actaeon“ betitelt hat.
Alexander Skorobogatov kam im Alter von 13 Jahren nach Deutschland, zuvor lebte er in Toljatti, 800 Kilometer südöstlich von Moskau. Die Stadt ist nicht nur dafür bekannt, dass dort die Autos der
Marke Lada hergestellt werden, sie war in den 90er Jahren laut Skorobogatov auch eine der gefährlichsten Städte Russlands, in der es viele Schießereien auf offener Straße gab.
Aufgrund der russisch-deutschen Herkunft seiner Mutter konnte die Familie auswandern. Skorobogatov ging nach Berlin, machte 2008 eine Zwischenstation an der Akademie der Bildenden Künste in
Mainz, kehrte aber nach einem Konflikt mit seinem Professor nach Berlin zurück und wurde an der Universität der Künste Berlin (UDK) aufgenommen.
Bevor er Pflanzen malte und Skulpturen aus Metall und Silikon gestaltete, malte er unter anderem Tiere. „Das war für mich die einfachste Möglichkeit, etwas Abstraktes zu schaffen. Fleck
gezeichnet, Beine dran und fertig ist das Tier. Mit der Zeit fand ich Pflanzen einfach abwechslungsreicher und interessanter.“
Zumal das Feld der Pflanzensymbolik reich bestellt ist, so steht eine Weinrebe etwa für Fruchtbarkeit, Reichtum und Lebensfreude. Die Mythen leben dabei bis heute fort. Die Tradition, dass
griechische Brautpaare zur Hochzeit mit Myrtenkränzen geschmückt werden, geht auf Aphrodite zurück, die mit Myrte assoziiert ist. Der Walnussbaum wiederum ist in der griechischen Mythologie die
verwandelte Titanin Karya, die einst Geliebte des Dionysos war und die Weisheit der Natur symbolisiert.
Die Vielfalt der Farben und Formen von Knospen und Blütenblättern machen Pflanzen für Skorobogatov zu eigenen Charakteren. „Sie haben in der Mythologie oft etwas Bedrohliches, wenn man etwa
Würgepflanzen denkt, aber wichtiger ist mir die Funktion des Verhüllenden, was viel erotischer ist als die Darstellung des Offensichtlichen. Darum sind Pflanzen einfach sexy.“